Ich male mit den Fingern – und du?

Ich male mit den Fingern – und du? Einblicke in die Maltherapie

Wenn Kinder malen entlockt das nicht selten freudige oder korrigierende Kommentare von den Erwachsenen. Wenn Senioren in der Kunststunde einen Blumentopf erschaffen, ist dies häufig gar nichts oder aber eine Ausstellung wert. Bilder psychisch erkrankter Menschen werden mehrdeutig interpretiert aber oft als eindeutig „talentiert“ beschrieben. Was ich damit deutlich machen möchte: Malen wird bewertet. Fast immer wenn Farben, Stifte oder Pinsel Landschaften, Figuren, Flächen oder Formen entstehen lassen wird dies bewertet. Kunstunterricht, Regeln die die Perspektive erklären oder Bücher zur kunsttherapeutischen Diagnostik zeigen dies.

Ich sehe im Malen und freien Gestalten etwas Außergewöhnliches und etwas Hilfreiches, etwas Gut-tuendes. In diesem Beitrag möchte ich deswegen andere Wege vorstellen, mit Malen und gemalten Bildern umzugehen. Ich selbst beende grade meine Ausbildung zur Maltherapeutin (auch Malbegleiterin) und möchte die Gelegenheit nutzen, diese Methode und die dazugehörenden Gedanken vorzustellen. Dabei geht es auch darum, Ihnen einen persönlichen Einblick zu geben, was Malen und Maltherapie für mich bedeuten. Dazu zeige ich Auszüge aus meiner Abschlussarbeit und Teile aus einem Interview mit mir.

Interviewerin (Frage): Was ist Maltherapie/Malbegleitung für dich?

Laura Hosemann (Antwort): Es ist eine Möglichkeit sich auszudrücken. Man kann etwas bewegen, gar heilen, man fühlt die Farben und das Material und kommt mal raus aus den Gedanken. Ich denke es ist eines unserer Ursprungsbedürfnisse kreativ sein zu können. In der Malbegleitung/Maltherapie findet man einen geschützten Ort, um wieder so ursprünglich gestalterisch tätig zu sein.

Malbegleitung & Maltherapie – ein bisschen Theorie

Ich vollende zurzeit meine Ausbildung zur Maltherapeutin / Malbegleitern am IHKD, dem Institut für Humanistische Kunst Darmstadt. Der Ursprung dieser Art der Maltherapie oder Malbegleitung liegt bei Arno Stern. Arno Stern ist Experte, Forscher und sozusagen Vater des Begleiteten Malens. In seinem Leben lernte er, wie Malen traumatisierten Kindern gut tut. Seiner Arbeit liegt keine Theorie zugrunde, im Gegenteil lehnt er jede Einordnung oder Bewertung der entstehenden Bilder ab. Der Malprozess (oder „Formulation“) ist das Wichtige. Seine Malbegleitung wird vor allem darin sichtbar, dass er die Malenden unterstützt, in dem er Raum und Materialien nach bestimmten Regeln gestaltet und betreut.

Bettina Egger entwickelte die Methode Sterns weiter und wurde bekannt durch Methoden wie personenorientiertes Malen oder lösungsorientiertes Malen- LOM®. Dabei wird nicht mehr mit dem Pinsel, sondern mit den Händen gemalt. Egger arbeitet mit den Malenden an konkreten Themen und betreut sie maltherapeutisch.

F: Kann denn jeder Malbegleiter werden, auch ohne psychologisch-ausgebildeten Hintergrund?

A: Es geht nicht darum, dass man ein psychologisches Vorwissen hat, sondern darum, dass man eine gewisse Haltung haben muss. Heißt die Neutralität, aber auch die Wertschätzung dem Malenden gegenüber. Diese Haltung zu erlernen ist ein großer Teil unserer Ausbildung.

Meiner Ausbildung liegen Teile beider Pioniere zugrunde. Im IHKD stehen vor allem die inneren, die therapeutischen Grundhaltungen im Mittelpunkt. Zugrunde liegt ein humanistisches Menschenbild. Das bedeutet, in jedem Menschen wird eine wertvolle und eigenständige Persönlichkeit gesehen. Es geht darum die Unterschiedlichkeit und Einzigartigkeit der Menschen und Malenden zu respektieren. Dementsprechend begegnen wir Maltherapeuten den Malenden mit Neugierde und Wertschätzung (statt mit Vorwissen und Bewertungsideen). Sollen Themen bearbeitet werden geht es hier darum, einen ersten kleinen Schritt zur Veränderung zu finden. Deshalb nennt sich diese Methode nach Alfred Niedecken auch Handlungsveränderndes Malen ©. Ein weiterer Punkt ist, dass man sich auch mal vom Negativen entfernt und Bilder entstehen dürfen, die gut tun und Kraft geben.

F: Hat die Ausbildung dich als Mensch und dein Denken verändert?

A: Ja, enorm. Das fällt einem nach einer gewissen Zeit plötzlich auf. Der Umgang mit anderen Menschen, aber auch mit einem selbst verändert sich sehr zum Positiven. Man wird sensibler, heißt man erkennt schnell Anzeichen wie es anderen gehen könnte… .

Diese Maltherapie / Malbegleitung ist nicht gleichzusetzen mit der klassischen Kunsttherapie, es ist kein Ausdrucksmalen und auch kein abstraktes Malen. Es wird nicht im klassischen Sinne interpretiert, es wird nicht bewertet. Eine Farbe bedeutet nichts, außer seiner Farbe. Maltherapie / Malbegleitung (auch nach Niedecken) zeichnet sich durch viele Besonderheiten aus. Das wird direkt auf den ersten Blick deutlich, da im Stehen und mit den Händen und Fingern gemalt wird. Ja genau, die Erwachsenen malen mit den Fingern!

F: Die „Farbenlehre“ spielt bei euch keine Rolle?

A: Nein, bei uns hat sie keine Bedeutung. Wir sagen nicht helle Farben deuten auf etwas Positives und dunkle auf etwas Negatives hin. Rot ist Rot ist Rot.

Prozess des Malens –was da passiert

Im Atelier, einem geschützten Raum, wird also im Stehen mit den Fingern Farbe auf große Papiere aufgetragen. Dabei gibt es bestimmte Leitlinien, also Regeln die helfen, innere psychische Prozesse in die Wege zu leiten. Dazu gehört beispielsweise dass gegenständliche, also figürliche malen. Das bedeutet nicht „künstlerisches“ oder „schönes“ Malen. Wenn ich einen Baum male, male ich ihn nicht abstrakt sondern gegenständlich. Ich male ihn also mit allem, was ein Baum hat und braucht: Mit einem holzfarbenen Stamm, mit Wurzeln, mit einer Krone. Diese Art zu malen unterstützt die Verarbeitung von Informationen in unserem Gehirn. Das menschliche Gehirn ist ein visuell verarbeitendes Organ. Auch künstliche, fotografierte oder gemalte Bilder verarbeitet das Gehirn als “real”. Wer bei einem Gruselfilm Gänsehaut oder bei einem Bilderbuch/Comic einen Lachanfall bekommen kann, der weiß was gemeint ist. Der gemalte Baum wird von meinem Gehirn auch als >Baum< erkannt und verarbeitet. Einen Tisch erkennen wir als Tisch, wenn er vier Beine und eine Platte hat, auch wenn er perspektivisch nicht perfekt ist. Einen Hund erkennen wir als Hund, wenn er Fell, Pfoten, Schwanz, Kopf und Ohren hat, auch wenn es wie eine „Kinderzeichnung“ wirkt. Einen Mensch erkennen wir als solchen, wenn er Haut, Augen, Nase und Mund hat. Wenn dann noch entsprechender Haarschnitt und Kleidung dazukommen, erkennt unser Gehirn auch uns selbst. Wir erkennen auf unserem gemalten Bild uns selbst, wie wir zum Beispiel den Weg zu unserer neuen Arbeitsstelle nehmen- was nächsten Montag ansteht! Auf dem Bild haben wir die Situation schon einmal angesehen und sogar bewältigt, nun fühlen wir uns vielleicht vorbereitet und haben Mut gefasst. Dies als ein Beispiel, wie gegenständliches Malen helfen kann- sowohl beim Prozess, als auch beim Betrachten des fertigen Bildes.

F:  Also ist diese Methode auch gut geeignet für Leute, die sich schwer ausdrücken können, z.B. weil sie traumatisiert sind, richtig?

A: Ja richtig. Wenn wir Klienten haben, die länger zu uns kommen, wird in gewissen Zeitabständen immer mal wieder das Ursprungsthema, weshalb derjenige zu uns kam, angesprochen. Da zeigt sich dann auch oft wie die Menschen sich öffnen und die Malbegleitung … zulassen und was sich so verändert. Man sollte aber darauf achten seine Grenzen einzuhalten, also jeder Malbegleiter muss selbst einschätzen in wie weit er sich starken psychischen Krankheiten gewachsen fühlt. [Hier wird vielleicht der Unterschied zwischen Maltherapie und Malbegleitung etwas deutlich.]

Maltherapie / Malbegleitung entfaltet ihren Nutzen wenn es um Krankheit und Gesundheit, Entwicklung und Heilung, Pädagogik und Inklusion geht, spricht Menschen aller Altersgruppen und aller sozialer Schichten an. Es kann gemalt werden, weil gemalt werden will, damit die „Formulation“ einen Raum bekommt. Andere Malende bringen ein persönliches Thema mit, welches sie bearbeiten wollen. Auch bei einer körperlichen oder psychischen Erkrankung kann die Maltherapie Kraft und Unterstützung schenken. Andererseits nutzen manche Malenden die Malbegleitung auch als ein Art Coaching, das zu neuen Perspektiven und konkreten Ideen führt. Es gibt also unzählige gute Gründe, eine Maltherapie / Malbegleitung zu nutzen. Die Wirkung geschieht immer.

Das mit der Bewertung

Besonders wichtig und hilfreich beim Begleiteten Malen ist die Bewertungsfreiheit. Wie schon geschrieben werden die Bilder, Farben und Motive nicht kategorisiert, also nicht bewertet oder Schlüsse daraus gezogen. Besonders spannend dabei ist, dass die Malenden selbst mit ihren Bewertungen in Kontakt kommen. Auch wenn es nicht darum geht, „talentiert“, „schön“ oder „künstlerisch“ zu malen, berichten viele von Selbstzweifeln oder Ängsten. „Ich kann nicht malen“ oder „Ich habe seit der Schule nicht mehr gemalt“ als häufige Sorgen. Für Maltherapie und Co. muss man nicht „malen können“. Man malt einfach- die wichtigste Grundeinstellung die im Atelier gelebt wird. Zufrieden mit einem Ergebnis zu sein oder damit umzugehen wenn es mal nicht so ist, das Bild annehmen, das sind Lernaufgaben der Malenden.

F: Wie ist das in eurer Praxis, kommentiert bzw. bewertet ihr die Bilder der Malenden?

A: Naja. Grundsätzlich werden die Bilder nicht bewertet, aber man steht immer für ein Gespräch darüber zur Verfügung und kann die Malenden auch auf Besonderheiten beim Malen ansprechen. Aber darüber geredet wird nur wenn derjenige es wünscht.

Die Maltherapeuten / Malbegleiter sind für die Malenden da und unterstützen sie wie bei Stern, indem sie für einen klaren  Rahmen im Atelier sorgen. Die Malenden werden in ihrem Prozess achtsam und aufmerksam begleitet. Dies geschieht durch spezielle Fragetechniken und die genannten Grundhaltungen. Malen ist grundsätzlich eine Tätigkeit, kein Gespräch. Wenn Malende aber über auftauchende Themen sprechen möchten, wenn sich körperliche oder emotionale Regungen zeigen, sind die Maltherapeuten Ansprechpartner. Der Malbegleiter begleitet, umsorgt und fördert.

F:  Also wird während der Stunde schon kommuniziert?

A: Ja …, wir bieten für jedes Bild ein Abschlussgespräch an, fragen manchmal ob gewünscht wird, dass wir unsere Gedanken dazu äußern. Oftmals entstehen Bilder aus unserem Unterbewusstsein [was zum Wunsch nach einem bewussten Sprechen darüber führt]. Und natürlich ist es jederzeit wichtig auf besondere Anzeichen, Emotionen und Verhaltensweisen der Malenden während der Stunde zu achten und sie gegebenenfalls darauf anzusprechen.

Die Malenden erschaffen ein Bild. Dies ist immer etwas eigenes, nicht ein Teil des Malenden. Doch oft haben Bilder oder der Entstehens-Prozess mit etwas aus dem Leben der Malenden zu tun. Oder auch nicht! So oder so ist die Aufgabe der Maltherapeuten / Malbegleiter für den Malenden zu sorgen und auch für das Bild. Es geht darum ein Bild zu Ende zu bringen, es liebevoll betrachten zu können wenn es vollendet ist. Die Bilder die entstehen werden als etwas sehr wertvolles angesehen. Dabei unterstützen die Maltherapeuten / Malbegleiter, denn das ist nicht immer einfach.

F: Darf man seine Bilder eigentlich mitnehmen?

A: Ja, allerdings mit dem Hinweis darauf zu achten, wem man die Bilder zeigt, sind sie doch etwas sehr Persönliches und Emotionales und nicht jeder könnte sie verstehen und einen ungewollt sogar verletzten. Arno Stern beispielsweise hebt alle Bilder seiner Malenden selbst auf.

In diesem Beitrag habe ich das Thema Malen und Maltherapie eröffnet. Dazu gibt es noch so viel Spannendes zu Schreiben und zu Denken. Ich werde immer wieder darauf zurückkommen und auch einzelne Aspekte hervorheben- heute ein Einstieg. Ich hoffe ich habe damit viele Fragen provoziert und freue mich, die ein oder andere zu beantworten. Wer sich für die Theorie und die Methode interessiert, der findet viele Informationen auf den Websites von Arno, Egger und Niedecken.

An diese Stelle einen herzlichen Dank an die Interviewerin und dass ich durch das Interview Teil ihrer akademischen Arbeit sein durfte.

Und so zum Schluss eine Einladung zur Selbstreflektion: Welche Erfahrung haben Sie mit Malen gemacht? Welche Unterschiede gab es da, zuhause und in der Schule? Was für Unterschiede haben Sie gefühlt beim Malen im Vergleich zum Zeichnen oder Ausfüllen? Wann haben Sie aufgehört zu malen oder malen Sie noch? Wann haben Sie das letzte Mal Farbe benutzt? Wann haben Sie Farbe an ihren Händen gespürt? Wo haben Sie das letzte Mal Ihre Spuren hinterlassen? Was glauben Sie, Malen macht Dreck oder Malen macht bunt? Und wieviel Farbe passt denn vielleicht noch in Ihr Leben?

Für Neugierige hier noch ein paar Links:


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