Heilsame Farben – wie „einfach malen“ traumatische Erfahrung auflösen kann

Begleitetes Malen im Advent – Drei „bunte“ Impulsbeiträge

Willkommen bei der Interviewreihe mit Impulsbeiträgen rund um das Thema Begleitetes Malen. Wer genauer wissen möchte, was Begleitetes Malen bedeutet, der wird in diesem Beitrag fündig. In diesen Impulsbeiträgen habe ich Malbegleiter und Atelierinhaberinnen eingeladen, sich mit mir auszutauschen, über die Wichtigkeit des Malens für Kinder, über die heilende Wirkung von Begleitetem Malen und welche Vorurteile es möglicherweise auf dem Weg zu überwinden gilt. Lernen Sie in diesem Interview Alfred Niedecken und sein Atelier FARBRAUM kennen.

Heilsame Farben – wie „einfach malen“ traumatische Erfahrung auflösen kann

Hallo Alfred, du bist Diplom-Sozialpädagoge und -Kunsttherapeut, Malbegleiter und Leiter des Instituts für humanistische Kunsttherapie Darmstadt. Seit über 20 Jahren kommen Kinder und Erwachsene in dein Atelier. Was erwartet denn die Malenden, wenn sie zu dir ins Atelier kommen?
Hallo Laura, schön dass du mich interviewst und mir die Gelegenheit gibst, dazu etwas zu sagen. Kinder und Jugendliche und natürlich auch Erwachsene kommen aus ganz unterschiedlichen Gründen ins Atelier. Die Kinder wollen malen, einfach frei raus. Es geht dabei selten um direkte Anliegen, die Bewältigung eines Problems oder die Klärung einer Frage. Die Erwachsenen nutzen das Malatelier gerne als Möglichkeit, wie andere ins Fitnessstudio gehen: zur Entspannung. Und sie freuen sich, dass im Atelier alles für sie vorhanden ist, die Farben, das Papier, dass die Umgebung so anregend ist durch die bunten Malwände ringsum. Hier genießen sie es, wie wohl es tut, sich nach der Arbeit, nach einem vollen Tag, mit Farben, Formen und Linien zu beschäftigen. Und wiederum andere kommen, weil sie ein ganz konkretes Anliegen haben. Sie stehen vielleicht vor einer Entscheidung, die sie treffen müssen. Arbeitsplatz – Wechsel oder bleiben? Sie müssen sich vielleicht mit einer Erkrankung auseinandersetzen oder sie haben Fragen zu einer bestehenden Beziehung. Und auch hier bietet das Begleitete Malen eine gute Möglichkeit, sich mit diesen Themen zu beschäftigen und gegebenenfalls auch zu einer Veränderung zu kommen.

Wir malen keine Gefühle, sondern wir malen, um zu fühlen!

Das Begleitete Malen, die Maltherapie ist wie gesagt nicht nur da, um schwierige Themen zu bearbeiten. Kommen Sie einfach ins Malatelier und freuen Sie sich, dass alles für Sie bereitsteht, die Farben, das Material, und jemand der dafür sorgt, das alles passt. Es müssen also nicht „Probleme“ gesucht und bearbeitet werden, sondern es kann auch einfach großflächig gemalt werden. Unsere Farben sind so dick wie eine Creme. Wenn wir sie auf die Handflächen nehmen, können wir mit der Farbe Bilder modellieren. Dies tun wir im Stehen, so dass der Körper nicht zweimal abgeknickt am Tisch sitzt, sondern wir spüren unseren ganzen Körper während des Malens. Wir können es genießen, uns auf einer großen Fläche auszubreiten. Bei Bedarf können die Bilder nämlich auch wachsen, es kann eine ganze Malwand vom Boden bis zur Decke mit Papier bestücken werden. Es dürfen auch abstrakte Formen gemalt werden, Flächen entstehen, die dann wieder auf die Person wirken. Wir malen keine Gefühle, sondern wir malen, um zu fühlen! Und das kann nach einem vollgepackten Arbeitstag sehr wohl tuen und auch zur Entspannung führen. Sowohl zur muskulären, als auch zur geistigen Entspannung.

Bei Kindern gibt es die Besonderheit, dass sie es lieben, mit Pinseln zu malen. Sie malen nach einem Konzept, welches Arno Stern entwickelt hat (wobei ich in meinem Atelier ausdrücklich nicht Malen nach Arno Stern anbiete). Das System sieht vor, dass in meinem Malatelier 25 verschiedene Farben zur Verfügung stehen. Zu jeder Farbe gibt es einen dünnen und einen dicken Pinsel. Kinder malen also nicht wie die Erwachsene mit den Händen, sondern mit dem Pinselsystem. Die Kinder greifen nach einem Pinsel, tauchen ihn ins Wasser, streifen ihn ab, tauchen in die Farbe, streifen ihn wieder ab und dann geht’s ans Papier und sie malen ihre Bilder. Sie lieben diese Ordnung, sie lieben dieses bunte „Farbpiano“, den schillernden Farbregenbogen.

Du hast es gerade angesprochen: Malen kann einfach guttun! Aber einige Malende die kommen, suchen ganz gezielt nach Unterstützung in belastenden Lebenssituation oder auch Krisen. Können eigentlich Farben heilsam sein? Wie können sie das?
Zunächst einmal: Farbe an sich ist erst mal nur Farbe, und Farbe und Farbe… Da ist ja kein heilender Wirkstoff drin. Es ist vielmehr so, dass das Heilsame, also das was zu einer Veränderung aus einer bestehenden Situation führt, von den Malenden selbst kommt. Ich bin lediglich derjenige, der dabei begleitet und die Farbe ist sozusagen Mittel zum Zweck.
Natürlich wirken Farben auf uns Menschen. Wenn ich vor einer roten Fläche stehe, nehme ich sie anders wahr, wirkt sie anders auf mich, als wenn ich vor einer blauen, gelben, oder grünen Fläche stehe. Dies ist schon vielfach wissenschaftlich untersucht und beschrieben worden. Allerdings sind wir Menschen alle unterschiedlich. Bei der einen Person wirkt das Rote eher stimulierend, manche empfinden rot als aggressiv, andere halten dagegen und sagen Rot sei die Farbe der Liebe und überhaupt nicht aggressiv. Es gilt zu beobachten: Wer nutzt welche Farbe in welchen Situationen? Und dann ist das Gespräch notwendig. Mein Job ist es also auch, nicht nur dafür zu sorgen, dass die Umgebung des Malraums gut passt und alles da ist, was Menschen zum Malen brauchen, sondern ich bin auch ein Ansprechpartner. Man stelle es sich so vor, es gibt das Bild, es gibt die malende Person und dann gibt es denn Malbegleiter. Und zwischen diesen drei Elementen findet die Interaktion statt. So können auch durch das Gemalte, durch die Verwendung von Farben und durch das Gespräch Dinge geklärt werden.

Aus der Ohnmacht, aus der Überwältigen… in die Selbstwirksamkeit.

Das bedeutet, die Farben sind ein Teil von dem Prozess, dem Malen. Du schreibst auf deiner Homepage über diesen Prozess: „Kinder wie Erwachsene … kommen [durch begleitetes Malen] von der Überwältigung durch Ereignisse in ihrem Leben, in deren Bewältigung“. Wie kann man sich das genau vorstellen?
Vielleicht lässt es sich an einem Bespiel erklären: Ein Kind geht von der Schule nach Hause und wird auf dem Weg von anderen Schulkindern belästigt, gemobbt. Vielleicht hauen sie ihm die Mütze vom Kopf oder beschimpfen das Kind. Das Kind fühlt sich dabei unter Umständen hilflos, ohnmächtig gegenüber den anderen. Die anderen sind vielleicht mehrere, stärker und vielleicht auch älter. So eine Situation können wir uns alle vorstellen.

Wenn mir im Atelier auffällt, dass ein Kind sich anders verhält als alle Wochen vorher, dann frage ich: „Wie geht es dir denn heute? Wie war es in der Schule?“ 
 Dann kommt manchmal: „Ach es war blöd.“  
So frage ich: „Magst du noch etwas mehr erzählen?“   
 Dann kommen manchmal solche Geschichten: „Sie haben mir die Mütze vom Kopf gehauen… Ich habe geweint… Es waren viele…“  
Jetzt könnte ich dem Kind anbieten: „Was brauchst du? Was hättest du denn gebraucht in dieser Situation?“   
 Das Kind könnte antworten: „Wenn meine Freunde da gewesen wären, wäre das sicher nicht passiert.“  
Dann frage ich das Kind: „Magst du das mal malen? Du, mit deinen Freunden und die anderen, die dir die Mütze vom Kopf hauen wollen, zusammen auf einem Bild?“ 

Aus der Ohnmacht, aus der Erstarrung heraus, aus der Überwältigen aufgrund der Übermacht der anderen Kinder, hat das Kind nun die Chance, diese Situation im geschützten Raum des Malateliers zu verändern. Es malt sich und die Freunde auf dem Nachhauseweg, so wie die andere, feindliche Gruppe. Da sich aber die Situation jetzt verändert hat, das Kind nicht mehr alleine ist, sondern die Freunde dabei sind, erfährt es die Möglichkeit sich zu schützen, zu wehren. Es erfährt ein gewisses Maß an Sicherheit. Es ist nicht mehr aufgeliefert, es kann nicht mehr so leicht überwältigt werden. Sondern durch das Malen, jenes erfahren: „Hey, ich bin ja handlungsfähig! Ich kann meine Freunde fragen, ob sie mich auf dem Nachhauseweg begleiten.“ Das stärkt das Kind. Es merkt, es kann etwas tun, es erfährt Selbstwirksamkeit. Und so gestärkt kann das Kind dann später außerhalb des geschützten Malraums handeln, z.B. auf dem Nachhauseweg dafür sorgen, dass es nicht alleine läuft. Das ist das Heilsame bei dieser Methode.

Sehnsuchtsbilder einer heilen Welt

Ähnlich geht es auch den vielen Kindern, die mit ihren Eltern aus der Heimat geflüchtet sind. Sie haben viel Not, viel Zerstörung und Tod gesehen. Sie sind überwältigt worden durch diese Ereignisse. Sie können dann im sicheren Deutschland, in Frieden, sich anders entwickeln. Sie kommen ins Malatelier und malen dort häufig diese „Sehnsuchtsbilder“, wie ich sie nenne. Das sind Bilder der „heilen Welt“. Es kommt ganz selten vor, dass Zerstörung, Tod und Aggression gemalt werden. In erster Linie wird die heile Welt gemalt. Das stärkt die Kinder genauso, aus dieser Überwältigung der Ereignisse heraus zu kommen.
Ab und zu blitzt das auf, was sie erlebt haben und das darf dann auch gemalt werden. Der Malraum ist ein bisschen wie ein Gefäß zu sehen, in das all diese schlimmen Bilder, Erfahrungen und Erlebnisse hineinfließen dürfen. Die Möglichkeit über solche Bilder und Erlebnisse zu sprechen besteht immer, wird aber selten von den Kindern wahrgenommen. Mein Eindruck ist, wenn das Bild vom Erschreckenden gemalt ist, dann sind sie schon ein Stück distanziert von dem Ereignis. Es hat schon geholfen, es war schon heilsam.

Um grade solchen Kindern das Malens zu ermöglichen, sind wir seit 2016 mit dem Rollenden Farbraum in Flüchtlingsunterkünften unterwegs. Der Rollende Farbraum ist ein zu einem Atelier auf Rädern umgebauter Wohnwagen, der eine aufsuchende Arbeit möglich macht. Wir erleben immer wieder, wie wichtig es ist, solche Mal-Räume für Kinder zu schaffen. Wir erweitern ständig unseren Wirkkreis. So fand bis vor der Coronazeit wöchentlich Begleitetes Malen in den Räumen einer nahen Grundschule statt und es bestehen Kooperationen mit Kindertagesstätten. Erfreulicherweise können wir mittlerweile schon wieder Aktionen planen, z.B. mit der evangelischen Kindertagesstätte Eberstadt, wo auch ein Malraum für Kinder geboten werden soll.

Ein Aufblitzen traumatischer Erfahrungen

Du hast eben Prozesse bei Kindern beschrieben, die an Erkenntnisse aus der Traumaforschung erinnern. Wie ist es denn bei Erwachsenen, kommen diese mit traumatischen Erlebnissen in dein Atelier?
Ja, das gibt es auch. Manchmal wird im Vorabgespräch an mich etwas herangetragen. Ein Wunsch: „Das und das ist mir passiert, gibt es eine Möglichkeit in der Kunsttherapie, im Malen, sich das anzuschauen und es vielleicht zu verändern?“ Das andere ist, dass Themen der Malenden während des Malprozesses auftauchen oder kurz aufblitzen. Und in diesem Auftauchen werden solche traumatischen Erlebnisse als Anteil einer Person sichtbar. Es ist ein bisschen wie eine Überraschung, vielleicht auch unangenehm, nimmt den Malenden in diesem Moment erstmal Kraft weg. Häufig wird dann dieses sich Zeigende, also der sich zeigende Anteil einer traumatischen Erfahrung, rasch wieder übermalt. Vielleicht ist die Zeit noch nicht da, um es zu bearbeiten. Das spreche ich an. Ich frage: „Was war denn jetzt für dich der Impuls, dieses Bild oder diesen Teil des Bildes zu übermalen? Magst du das sagen? Kannst du den Impuls, dies zu übermalen, noch mal vergegenwärtigen?“ Wenn die Malenden dazu bereit sind, dann arbeiten wir weiter daran. Wenn sie das ablehnen und es nicht möchten, dann ist das auch gut so und dann braucht es vielleicht noch Zeit. Klar ist, im geschützten Raum des Malateliers wird nichts beschleunigt und die Malenden werden auch nicht gedrängt. Gerade wenn es um traumatische Erlebnisse, sexualisierte Gewalt geht, dann bestimmen natürlich immer die Malenden das Tempo und das was sie sagen möchten.

Das heißt, egal ob Erwachsene oder Jugendliche, egal ob es eine bewusste Entscheidung oder das beschriebene Aufblitzen ist, sie finden bei dir alle einen sicheren Raum im Malatelier. Wer diesen sicheren Raum sucht, der kann also zu dir nach Eberstadt kommen? Was gibt es denn in der nächsten Zeit für Möglichkeiten dazu?
Es gibt wöchentliches Malen für Kinder, jede Woche gibt es Maltermine. Dies gilt auch für Erwachsene. Die Termine stehen auf meiner Webseite. Neben den regelmäßigen Malgruppen gibt es das Jahr über auch einzelne Angebote wie Malfreitage oder ganze Malwochen. Weiterhin gibt es bei mir auch die Möglichkeit sich ausbilden zu lassen. Zum einen gibt es die Ausbildung zur KindermalbegleiterIn. Da sprechen wir besonders die Erzieher, Erzieherinnen an und auch andere Pädagogen die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Diese Ausbildung dauert eine Woche und wird auch in 2022 angeboten. Zum anderen gibt es die Ausbildung zur MalbegleiterIn / MaltherapeutIn. Daran angeschlossen auch die Weiterbildungsmöglichkeit zur Kunsttherapeutin und Kunsttherapeut.

Anmeldeformulare und weitere Informationen finden Sie auf der Website.

Lieber Alfred, vielen Dank für das Interview. Was möchtest du mir und den Lesern und Leserinnen an dieser Stelle gerne noch mitgeben?
Mir ist es ein Anliegen nochmal mitzugeben, dass das Begleitete Malen frei von künstlerischen Aspekten und künstlerischen Regeln stattfindet. Es muss niemand wissen, wie Perspektive oder Anatomie gehen, wie gemalt oder gezeichnet wird. Wir verwenden im Begleiteten Malen auch keinerlei Farbpsychologie oder Symbolik. Sondern es darf Spaß machen! Mit Farben experimentieren, die Freude beim Malen spüren und auch ein gemeinsames Erlebnis in einer kleinen Gruppe haben zu können.

Auch dir vielen Dank für das sehr nette Interview und für die Gelegenheit, dass ich das für deinen Blog beantworten durfte.

Website: www.ihkd.de
E-Mail: info@ihkd.de
Telefon: 0176 – 40501934
Instagram: @ihkd.de


Die Bilder wurden freundlicherweise von Alfred Niedecken INSTITUT FÜR HUMANISTISCHE KUNSTTHERPAIE DARMSTADT zur Verfügung gestellt.

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